Jeder Mensch und jede Familie ist einzigartig! Somit gibt es für jede Familie und jedes Familienmitglied andere passende Lösungen. Einige unserer Tipps treffen auf Ihre Familie nicht zu. Dies soll lediglich als Denkanstoß dienen, um die für Sie passenden Strategien zu finden.
In diesem Artikel verwenden wir den Begriff Quarantäne für alle quarantäneähnlichen Situationen: Bei tatsächlicher Quarantäne handelt es sich um eine vollständige Isolierung zuhause und dies zieht damit die weitreichendsten Einschränkungen nach sich; eine Ausgangssperre erlaubt beispielsweise Lebensmitteleinkäufe; Ausgangsbeschränkungen - wie im März 2020 in Deutschland eingeführt - erlauben darüber hinaus unter anderem Spaziergänge oder sportliche Aktivitäten draußen. Empfehlungen werden besser umgesetzt, wenn sie verstanden werden, deswegen gehen wir auch immer auf die Grundlage/n beziehungsweise Vorüberlegungen zu unseren Anregungen ein.
Hintergrund: Es hat sich in Studien gezeigt (Brooks et al 2020), dass eine ausführliche Aufklärung über die Erkrankung und die Quarantänegründe ein wichtiger Faktor in der Reduktion von psychischen Symptomen in Folge der Quarantäne ist.
Hintergrund: Je nach Entwicklungsstand (hierfür entscheidend ist der kognitive und sprachliche Entwicklungsstand) unterscheidet sich das Regelverständnis des Kindes; hierfür ist das mentale Entwicklungsalter - nicht das Lebensalter - entscheidend. Kinder bis zwei Jahren nehmen häufig noch klare Regeln als gegeben hin und akzeptieren Situationen ohne sie zwangsläufig zu hinterfragen. Kinder mit einem Entwicklungsstand von ca. 3 Jahren können bereits zwischen moralischen Vergehen (z.B. Stehlen) und sozialen Konventionen (Eiscreme mit Finger essen) unterscheiden (Studie von Turiel, 1998; zitiert nach Berk, 2005).
Bei jüngeren Kindern ist es sinnvoll, in der Situation (z.B. Kind will bei Spaziergang auf einen Spielplatz) eine kurze einfache Erklärung geben (bspw. „Ein Bürgermeister macht Regeln für eine Stadt. Er hat das Spielen auf Spielplätzen momentan verboten.“) und danach die Fragen des Kindes beantworten. Eine von Elternseite aktive Thematisierung ohne auslösende Situation wäre abhängig von dem Temperament und Umgang des Kindes mit der Situation (z.B. wenn das Kind starkes Interesse an der Situation zeigt; oder verunsichert, belastet oder bedrückt wirkt).
Hintergrund: Eine klare Strukturierung des Tages kann in quarantäneähnlichen Zeiten sehr hilfreich sein, da die Berechenbarkeit und Verlässlichkeit ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Zudem werden damit mögliche Grübelphasen durchbrochen, sowie körperliche und emotionale Durchhänger abgeschwächt. Auch der regelmäßig ausreichende Schlaf (auch auf elterliche Schlafhygiene achten) ist für das psychische Wohlergehen wichtig. Es muss jedoch jede Familie einschätzen, wieviel Struktur sie braucht oder möchte. Wir empfehlen, sich zumindest einzelne Tagesstrukturpunkte zu setzen, da insbesondere Kinder von einer Tagesstruktur profitieren. Innerhalb der Struktur darf viel Entscheidungsspielraum für die Familienmitglieder bleiben, sodass die Individualität des Einzelnen berücksichtigt werden kann. Für die Kinder wird eine solche Struktur durch Rituale und somit Wiederholung erlebbar. Viele Familien haben bereits feste Rituale im Alltag verankert, wie die Zeit vor dem Zubettgehen (z.B. gemeinsam ein Buch lesen, kuscheln, …). Nach diesem Vorbild können Sie weitere Ankerpunkte im Tag schaffen: das kann beispielsweise ein Morgenlied zu Beginn des Tages sein oder feste Aufräumzeiten vor dem Mittagessen.
Für eine funktionierende und hilfreiche Tagesstruktur müssen die einzelnen Familienmitglieder versuchen ihre eigenen Bedürfnisse bewusst wahrzunehmen und zudem die körperlichen, emotionalen und gedanklichen Ebenen des Wohlbefindens mit ein zu beziehen. Bei den kindlichen Bedürfnissen können sechs Grundbedürfnisse unterschieden werden: Körperliche Integrität; Existentielle Sicherheit; Geborgenheit (und Zuwendung); soziale Anerkennung (und sozialer Status), Selbstentfaltung; Streben nach Leistung (Largo, 2019). Eine Einschätzung der Stärke der verschiedenen Bedürfnisse bei den verschiedenen Personen ist insbesondere bei Schwierigkeiten sinnvoll (um die Ursache des „Missfit“ zu erkennen und gegenzusteuern).
Darüber hinaus bietet eine Visualisierung der Stimmung im Quarantäneverlauf viele Vorteile. Eventuell kann man sich nach einigen Tagen mit schlechterer Stimmung eine Belohnung fürs Durchhalten planen. Zudem ist es wichtig sich bewusst zu machen, dass alle Gefühle okay sind! Also jeder (klein und groß) hat die Erlaubnis traurig oder wütend über fehlende Besuche, stornierten Urlaub, geplatzte Geburtstagsfeiern, geschlossene Spielplätze… zu sein, auch wenn es gerade auf der Welt viel existentielles Leid gibt. Ebenso darf man auch in der jetzigen Situation glücklich sein und einen schönen Tag genießen.
Grundsätzlich wird bei festen Start- und Endpunkten von Quarantänezeiten auch eine Visualisierung des Endpunktes empfohlen. Da in der aktuellen Situation ein klares Ende noch unklar ist, sehen wir davon ab. Unserer Meinung nach sollte nicht mit einem festen Endpunkt, sondern mit einem „Veränderungspunkt“ gerechnet werden und dementsprechend die eigenen Energien eingeteilt werden. Eine Verlängerung von quarantäneähnlichen Zuständen stellt eine besondere psychische Herausforderung dar (vgl. Brooks et al, 2020), deswegen denken wir, dass es sinnvoll sein kann, in Etappen zu denken. Markieren Sie beispielsweise auf dem Stimmungsbarometer, welche Etappen Sie schon gemeistert haben. Was haben Sie dabei gelernt für noch folgende Etappen? Was hat sich verändert?
Hier können Sie sich die Empfehlungen von Dr. Joana Wolfsperger (Akademische Sprachtherapeutin M.A.) zum Umgang mit Mehrsprachigkeit während der Corona-bedingten sozialen Einschränkungen herunterladen.
Berk L. E. (2005). Entwicklungspsychologie. München: Pearson.
Brooks, S. K., Webster, P. K., Smith, L. E., Woodland, L., Wessely, S. & Greenberg, N. (2020). The psychological impact of quarantine and how to reduce it: rapid review of the evidence. Published online in Lancet 2020; 395:912-20.
Largo R. H. (2019). Kinderjahre - Die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung. München: Piper.
Sabina Bayr, Diplom-Psychologin und Spieltherapeutin (Personzentrierte Beratung mit Kindern, Jugendlichen und deren Bezugspersonen)
Veronika Dreßl, Diplom-Psychologin
Lorenz Bayr, Web Design
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Veronika Dreßl
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